Waldbaden, das neue “Spazieren” gehen, beziehungsweise die Waldtherapie, ist der klare Naturtrend zur Zeit. Ganz klar muss es aber vom klassischen Wandern abgegrenzt werden. Was ist der Unterschied und was macht es so besonders? Ist es eine medizinische Notwendigkeit, Zeit in der Natur zu verbringen?
Merkmale wie Achtsamkeit, Entschleunigung und Bewusstsein zeichnen ein Bad in der Waldatmosphäre aus. Was noch wichtig ist, warum ich es in mein Leben integriert habe und es an Menschen weitergebe, liest du im Artikel.
Das Natur-Defizit Syndrom
Die Natur als Notwendigkeit für Gesundheit zu betrachten ist zwar noch nicht sehr stark verbreitet, wird aber in unserer digitalen Gesellschaft zunehmend wichtiger. In unserem durch getakteten Alltag, der sich primär in geschlossenen Räumen abspielt, bedarf es immer mehr aktiver Pausen und bewusster Entschleunigung. Wir müssen wieder nach draußen.
Der amerikanische Journalist, Autor und Aktivist Richard Louv hat im Jahr 2005 das Buch „Last Child in the Woods – Saving our Children from Nature-Deficit Disorder“ veröffentlicht, das bereits in zehn Sprachen übersetzt und in fünfzehn Ländern publiziert wurde (seit 2013 auch in deutscher Sprache unter dem Titel: Das letzte Kind im Wald? Geben wir unseren Kindern die Natur zurück!)
Louv beschreibt sehr anschaulich die in den letzten Jahrzehnten erfolgte Naturentfremdung besonders der Kinder. “Die zunehmende Verhäuslichung von Kindheit entspricht nicht dem menschlichen Leben und trägt zu vielen Krankheiten, Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Problemen bei”, so Louv in seinem Buch.
Auch wir Erwachsenen lassen uns von Technik verzaubern und verbringen viel Zeit hinter Bildschirmen, im Sitzen und indoors.Im Durchschnitt verbringen wir mehr als die Hälfte des Tages mit Blick auf einen Bildschirm im Sitzen.
Eigentlich sind sich viele Menschen dieses Problems bewusst und wissen eigentlich, dass sie sich mehr bewegen, mehr an die frische Luft und entspannen sollten.
“Keine Zeit!”, ist jedoch die beliebteste Antwort, die ich immer wieder höre, wenn ich Kunden und Patienten nach dem Problem frage, warum es denn nicht klappt mit den Vorsätzen. Dabei ist es gar nicht so schwer. Eigentlich.
Was am Waldbaden so “neu” ist?
Waldbaden ist von der Idee her ganz einfach: In die Natur eintauchen und bewusst abschalten! Moment, das klingt doch wie Wandern, oder etwa nicht?
Nicht ganz, es gibt durchaus kleine, aber feine Unterschiede: Während Wandern eine zielbezogene Aktivität ist, geht es beim Waldbaden nicht darum, einer definierten Route zu folgen. Ein Waldbad muss nicht immer sehr lang andauern bzw. mehrere Kilometer lang sein. Im Gegenteil, beim Waldbaden geht alles etwas langsamer zu. Vielmehr geht es darum die Zeit bewusst langsamer zu erleben, ja zu entschleunigen. Dabei wird es möglich mit allen Sinnen im Wald zu interagieren. Statt des Ziels geht es darum, sich auf die Details des Waldbades zu konzentrieren.
Wenn ich zum Beispiel auf einem Paleo Retreat mit Teilnehmern ein Waldbade Seminar durchführe, erkläre ich nicht die Flora und Fauna des Waldes, wie es ein Förster oder Ranger tuen würde. Vielmehr geht es darum die Teilnehmer bewusst im Wald ankommen zu lassen. Hierfür eignen sich z.B. Atem- und meditations ähnliche Techniken oder andere wahrnehmungsbezogene Techniken sehr gut.
Meine Aufgabe beim Waldbad mit Teilnehmern ist es, lediglich Chancen oder „Einladungen“ zu eröffnen, mit dem Wald auf sinnvolle und heilende Weise zu interagieren.
Ganz wichtig ist es den Wald mit allen Sinnen zu erfahren, also zu sehen, zu riechen, zu hören, zu schmecken und zu fühlen. Waldbaden hat ähnliche Effekte wie eine Meditation auf den Körper, allerdings ist es nicht unbedingt eine einsame Erfahrung. Im Gegenteil, das gemeinsame Teilen und Reflektieren ist ebenso wertvoll. Du hörst und siehst Dinge, welche ohne das gemeinsame teilen unbemerkt geblieben wären. Es entsteht dabei viel Verbindung und Freude, die Waldtherapie mit anderen Menschen zu teilen. Für mich ist das ein wesentlicher Unterschied zur individuellen Meditation.
Wald-Therapie wirkt
Die beruhigenden Vorteile eines Aufenthaltes in der Natur sind bereits gut dokumentiert. Menschen die regelmäßig im Wald baden sind stressresistenter, haben weniger Angst und ein gestärktes Immunsystem. Japanische Studien haben gezeigt, dass Menschen, die Zeit im Wald verbringen, nützliche Bakterien, pflanzliche ätherische Öle und negativ geladene Ionen einatmen. Die größte Vereinigung in den USA, die Association of Nature & Forest Therapy (https://www.natureandforesttherapy.org/) listet unzählige Vorteile auf, darunter einen reduzierten Blutdruck, mehr Energie und eine verbesserte Konzentrationsfähigkeit.
Waldbaden oder Waldtherapie sind eigentlich keine neuen Methoden. Shinrin-yoku hat seine Wurzeln in vielen Kulturen. Auf der anderen Seite benötigen viele Menschen in unserer Gesellschaft heute einen Türöffner, seines um sich zu entspannen oder die Möglichkeiten der Natur auf ihren Körper und Geist wieder zu erkennen.
Eins steht fest, mit dem Bad in Wald können wir unser Natur-Defizit wieder ausgleichen und tun so etwas aktiv für unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
Alles Gute
Dein Christian
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