Bewegungsmangel ist als Risikofaktor für die Gesundheit schon lange unbestritten. Heute sieht man eindeutige Zusammenhänge zwischen zu wenig Bewegung und nicht- übertragbaren Krankheiten, besonders Herzkreislauferkrankungen, Krebs, chronischen Atemwegserkrankungen und Diabetes Mellitus, assoziiert. Allein an diesen Krankheiten sterben, jedes Jahr um die 38 Millionen Menschen laut Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Ganz neu ist die Erkenntnis, dass langes Sitzen ein eigener Risikofaktor darstellt!
Die Aussage einiger Wissenschaftler ist dabei überraschend: Auch Menschen die regelmäßig ihr Sportprogramm machen, aber dennoch sehr viel im Alltag sitzen, sind eine Risikogruppe!
Was ist sitzendes Verhalten?
Sitzendes Verhalten schließt per Definition Verhaltensweisen wie Sitzen am Arbeitsplatz, in der häuslichen Umgebung, beim Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort, sowie in der Freizeit mit ein.
Dabei ist „Sitzen“ für sich genommen noch kein unmittelbares Risiko für unsere Gesundheit. Betätigung im Sitzen, wie z.B. Fahrrad fahren, Rudern oder Krafttraining an Fitnessgeräten, erheben in aller Regel Nachweise für eine gesundheitsfördernde Wirkung und werden auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eindeutiger Nutzen für die Gesundheit beschrieben (WHO, 2015).
Bedrohlich wird es, wenn Menschen lange Sitzen und dabei einen niedrigen Aufwand an energetischer Beanspruchung ihres Körpers betreiben.
Immer noch Alltag: Sitzender Büroarbeitsplatz
Was bedeutet das?
Wichtig zu verstehen, Sitzendes Verhalten muss zunächst einmal vom Zustand der körperlichen Inaktivität abgegrenzt werden. Um hier eine Einordnung vorzunehmen, muss das Bewegungs- und Alltagsverhalten differenziert betrachtet werden. Die deutsche Wissenschaftlerin Birgit Sperrlich erklärt dazu, dass sich bei körperlicher Inaktivität wie Sitzen unser Stoffwechsel verlangsamt.
Erwachsene, die von ihrem Bewegungsverhalten her den gesundheitswirksamen Empfehlungen nachkommen (150 Minuten, in der Woche moderat ausdauernd bewegen oder einer mindestens 75 minütigen, intensiven körperlichen Aktivität nachgehen), können sich per Definition, ebenso sitzend im Alltag verhalten.
Andersherum verhalten sich Erwachsene, die den eben beschriebenen Bewegungsempfehlungen für eine Woche nicht nachkommen, unter Umständen im Alltag sehr aktiv, in dem sie zum Beispiel berufsbedingt des Öfteren Aufstehen, viel Stehen oder kurze Distanzen zu Fuß zurücklegen.
Unsere gegenwärtige Umwelt, mit Fahrstühlen, Rolltreppen, Fahrzeugen usw. führt zu einer Reduzierung der körperlichen Aktivität. So etabliert sich in der Arbeitswelt, wie auch in der Freizeit, eine sitzende Lebensweise. Dadurch wird Skelettmuskulatur, das größte Organsystem des Menschen, welches für einen wesentlichen Teil des Kalorienverbrauchs des Körpers verantwortlich ist, zu wenig beansprucht. Die Folge: Ein zu niedriger Energieverbrauch.
Wie misst man eigentlich den Energieverbrauch?
Zur Beurteilung einer körperlichen Aktivität, hinsichtlich ihrer absoluten Intensität, wurde das Konzept des metabolischen Äquivalents (engl. metabolic equivalent of task, MET) entwickelt. Das Konzept ermöglicht den Vergleich verschiedener Aktivitäten und deren Energieverbrauch.
Beim MET wird der Stoffwechselumsatz einer Person, in Bezug zum Grundumsatz, im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht beschrieben. Der Kalorienverbrauch ist bei einer Aktivität, um ein vielfaches höher als in Ruhe. Per Definition beschreibt 1 MET einen Energieverbrauch von 4,184 kJ (1 kcal) je Kilogramm Körpergewicht pro Stunde, was in etwa dem Ruheumsatz des Körpers entspricht und über folgende Gleichung ausgedrückt wird:
1.0 (4.184 kJ) ٠kg ˉ¹ ٠h ˉ¹
1 MET gilt diesbezüglich als Grundumsatz der beim Sitzen in Ruhe benötigt wird. Der Kalorienverbrauch von anderen Aktivitäten wird dabei als ein Vielfaches davon ausgedrückt. Stehen beispielsweise, erfordert in etwa 2 METs. Für diverse Alltagsaktivitäten stehen MET- Werte zur Verfügung. Schlafen liegt mit einem MET von 0,95 noch unter dem Niveau von Sitzen, wird aber in diesem Kontext als unproblematisch eingestuft (ebd.). Einbezogen werden nur die Aktivitäten, die während der täglichen Wachphase zustande kommen. Moderate körperliche Aktivität hat etwa einen Energieverbrauch von 3 bis 6 METs, intensive Anstrengungen hingegen über 6 METs. In der folgenden Tabelle wird ein kleiner Überblick relevanter Aktivitätsintensitäten dargestellt.
Körperliche Aktivitäten von Erwachsenen und deren MET Werte
Schlafen 0,95
Ruhig Liegen und TV gucken 1
Ruhig Sitzen und TV gucken 1,3
Sitzende Aufgaben mit leichtem Aufwand
(z.B. Büroarbeit, Arbeit im Chemielabor, Computerarbeit) 1,5
Stehen, Telefon- oder Computerkommunikation 1,8
Aktive Arbeitsstation, Laufbandschreibtisch, Walken 2,3
Stehende Aufgaben mit leichtem Aufwand
(Tresenarbeit, Verkauf, Arztpraktiken, Archivierung, Kopieren, Bibliotheksarbeit) 3
Sauber machen, Teppich oder Boden reinigen 3,3
Zügiges Walken auf festem Untergrund (6 km/h) 4,3
Rasenmähen, motorisierter Rasenmäher mit leichtem / moderatem Aufwand 4,5
Golf spielen 4,8
Schnee schippen mit den Händen mit moderatem Aufwand 5,3
Ruhiges Fahrradfahren, 18- 20 km/h 6,8
Laufen mit 8 km/h (12min/ 1,6 km) 8,3
Seilspringen 11
Hoher Energieverbrauch beim Seilspringen
Vielsitzen und das Gesundheitsrisiko
Verschiedene Autoren ermitteln für sitzendes Verhalten Werte von bis zu 8,5 Stunden und länger am Tag. Gerade Menschen, die in Büros arbeiten zeigen ein ausgeprägtes sitzendes Verhalten. Diese verhalten sich unter Umständen bis zur Hälfte ihrer Wachzeit sitzend. So stellt sich die Frage, inwieweit berufsbedingtes Sitzen zu bestimmten gesundheitlichen Problemen führen kann bzw. gerade Arbeit im Büro einen möglichen Risikofaktor für die Gesundheit darstellt?
Forscher aus Missouri, USA untersuchen dieses Phänomen bereits seit über 10 Jahren. Für sie steht fest, das viel Sitzen und wenig körperliche Aktivität das relative Sterblichkeitsrisiko erhöhen. Daher sind inaktive Verhaltensweisen zu identifizieren und in der Folge zu vermeiden. Jahrelang hat man sich mit dem Problem Bewegungsmangel im Sinne von „zu wenig Sport“ in der Freizeit beschäftigt, dabei aber außer acht gelassen, dass unser Alltagsverhalten ebenso relevant ist. Die Forscher erklären weiter, dass es wichtig ist, die Auswirkungen auf unseren Körper durch lange Sitzphasen genauer zu erforschen und es neue Beschreibungen für dieses neuzeitliche Phänomen benötigt.
Menschen sind durchschnittlich 16 Stunden des Tages wach. Wie bereits gezeigt, führt anhaltendes Sitzen zu einem niedrigen Energieverbrauch im Körper, da die periodische Kontraktion der Muskulatur gehemmt wird und somit der positive Effekt auf den Stoffwechsel, der daraus kumuliert, wegfällt. An Tieren durchgeführte Studien konnten zeigen, dass herabgesetzte Muskelkontraktionen im Körper zu einer verminderten Ausschüttung des Enzyms Lipoproteinlipase (LPL) führen, welches zur Kontrolle der Blutfettwerte benötigt wird. Bereits wenige Stunden Sitzen reichen aus, um in den Blutgefäßen die Ausschüttung von Lipoproteinlipase einzuschränken.
Der Arzt und Professor James A. Levine von der Mayo Clinic in Scottsdale, US-Bundesstaat Arizona, kann wohl als geistiger Führer der Anti-Sitz-Bewegung bezeichnet werden. Gerüchten zu Folge würde er seit Jahren praktisch nicht mehr sitzen. Egal ob beim Arbeiten im Büro, in seinen Vorlesungen oder in der Freizeit, Levine ist immer in der Senkrechten. Von ihm stammt das folgende Zitat:
„Evolutionär sind wir darauf ausgerichtet zu jagen und zu sammeln, zu säen und zu ernten, also darauf, den ganzen Tag in Bewegung zu sein und Tausende von Kalorien zu verbrennen. Und nicht darauf, wie verrückt eine halbe Stunde auf dem Laufband zu rennen und anschließend 15 Stunden zu sitzen.“
James A. Levine, Arzt und Professor
Er erklärt die negativen Auswirkungen auf unseren Körper über die fehlende Wärmeerzeugung in unserem Körper beim Sitzen. Alltagsbewegungen erzeugen Wärme. Diesen Effekt beschreibt man als, „non exercise activity thermogenesis (NEAT). In Ländern mit hohem Einkommen sitzen Menschen die meiste Zeit ihrer Wachphase und haben niedrige NEAT Raten. Moderne Haushalte, mit seinen vielen Annehmlichkeiten aber auch Arbeitsplätze und Schulen beeinflussen durch ihre Verhältnisse NEAT. Menschen die viel sitzen und wenig Kalorien verbrauchen, neigen dazu ein Übergewicht zu entwickeln und ihren Körperfettanteil zu erhöhen. Der Autor hat bereits in älteren Studien nachweisen können, dass Übergewichtige Menschen im Mittel 2,5 Stunden/ Tag mehr sitzen als schlanke Menschen und somit eine niedrige NEAT Rate zeigen.
Levine träumt davon, dass alle Amerikaner eines Tages während der Büroarbeit auf dem Laufband gehen. Entsprechende Konstruktionen gibt es bereits. In diesem Video kannst du Dr. Levine selber bestaunen.
Fazit
Es bliebt also festzuhalten, dass wir Menschen heute einen Großteil des Tages im Sitzen verbringen. Unsere Umgebung macht uns zu Vielsitzern. Überall sind heute die Verhältnisse entsprechend „sitzfreudig“. Deshalb verhalten wir uns auch überwiegend sitzend.
Besonders neuere Studien erhärten den Verdacht das sitzendes Verhalten mit einem erhöhten Risiko, besonders für Herzkreislauferkrankungen, das metabolische Syndrom und bestimmte Krebserkrankungen, in Zusammenhang steht.
Diese „Sitz- Krankheit“ ist dabei einerseits als gesellschaftliches andererseits als persönliche Herausforderung zu betrachten. Aus Homo sapiens wird immer mehr ein „Homo sedentarius“ .
Umso wichtiger ist es, sich auch im Alltag immer seine Sitzaltivität zu unterbrechen durch z.B. Aufstehen, Gehen und kleinere Übungen. Viele der Dinge, die wir im Sitzen machen , könnten wir ohne Probleme auch im Stehen durchführen. Zeit also seinen Hintern zu erheben und sich aufzurichten.
Alles Gute
Dein Christian
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